Ein Wirt für besondere Lagen
Stefan Borger wechselt aus 2.802 Metern Höhe zum Roiter an der Alz
Wenn der „Hoi mi ab“ scheppert, dann heißt’s Anker lichten. Gut, Anker hat das Boot keinen. Braucht’s auch nicht, es hängt eh immer an einem Drahtseil. Jedenfalls lässt Stefan Borger, sobald die Glocke rasselt, alles stehen und liegen, wenn er Fährdienst hat, und sprintet an die Alz, um Fahrgäste mit der Gierseilfähre überzusetzen.
Das Leben ist eine Berg- und Talfahrt. Abgedroschen? Na ja. Dass Talfahrten nichts Negatives sein müssen, das beweist Stefan Borger allemal. Vor einem Jahr lag sein Arbeitsplatz noch auf 2.802, heuer nur noch auf 500 Metern über Normalhöhennull. Mehr als zwei Kilometer runtergerauscht. Das ist schon ein anderes Niveau, aber kein schlechteres. Seit Anfang Mai ist Stefan Borger Wirt des Gasthauses Roiter bei Altenmarkt.
Eigentlich ist er ja Schreinermeister, im zweiten Hinterhof an der Reichenbachstraße 10 im Herzen Münchens hatte der gebürtige Nürnberger seine Werkstatt. Als leidenschaftlichem Koch lag es ihm besonders am Herzen, funktionale und geschmackvolle Küchen zu entwickeln. Doch irgendwann war genug. Stefan Borger suchte nach neuen Herausforderungen, nach neuen Horizonten. Handwerkliche Meisterschaft und Kochkunst müssten doch zu verbinden sein. Und er fand eine Arbeit, die ihm dazu ausreichend Gelegenheit bot: das Heinrich-Schwaiger-Haus der Alpenvereinssektion München. Unter ihm der Stausee am Mooserboden bei Kaprun, hinter ihm das Große Wiesbachhorn, mit 3564 Metern dritthöchster Gipfel der Glocknergruppe. Also nicht mehr Schreinermeister, sondern Hüttenwirt.
Die Lage des Heinrich-Schwaiger-Hauses bedingt besondere Herausforderungen für den Wirt. Am Ostufer des Mooserboden-Stausees steigt man in den Wanderweg ein, der immer steiler wird und zum Teil seilversichert in Kehren zur DAV-Schutzhütte hinaufführt. Anders ist sie nicht zu erreichen. Kein Drandenken, die Verpflegung der Bergsteiger zu Fuß nach oben zu bekommen. Zu Anfang der Saison wird das Material per Hubschrauber zum Haus gebracht. Über ein Dutzend Flüge sind nötig, um Getränke, Gemüse, Fleisch, Wurst, Käse und alles, was den Sommer über auf der Hütte gebraucht wird, hinaufzuschaffen. Da braucht’s eine penibel genaue Planung, damit nicht während der Saison die Lebensmittel ausgehen. Hubschrauberflüge sind teuer. Zuviel darf’s aber auch nicht sein, damit möglichst wenig verdirbt, wenn – wie im vergangenen Jahr – schon im August der Winter die Saison beschließt.
Die Herausforderung hat Stefan Borger angenommen. Und gleich noch eine draufgesattelt: Er nahm an der DAV-Initiative „So schmecken die Berge“ teil. Damit verpflichtete er sich, hauptsächlich regionale Speisen und Getränke auf den Tisch zu bringen, die aus einem Umkreis von 50 Kilometern um die Hütte stammen. Der DAV hofft, so zum Erhalt der bergbäuerlich geprägten alpinen Kulturlandschaft beizutragen. Doch auch das reichte Stefan Borger noch nicht: Statt sich mit 250 Schnitzeln einzudecken – Schnitzel gehen immer –, ließ er vollständige Tiere aufs Heinrich-Schwaiger-Haus fliegen. Zerlegt natürlich. „Das ist eine Frage des Respekts vor Lebensmitteln. Das ganze Tier musste sein Leben lassen, dann verwerte beim Fleisch auch das ganze Tier. Drum gibt’s halt nicht immer das feinste Steak, sondern auch mal ein deftiges Gulasch.“
Das Konzept kann nur aufgehen, wenn den Gästen auch die allgemein weniger beliebten Gerichte schmecken. Und es ging auf. Sogar Einheimische kamen zu ihm zum Essen aufs Heinrich-Schwaiger-Haus. Fünf Jahre lang war Stefan Borger Hüttenwirt. In dieser Zeit steigerte er die Übernachtungszahlen signifikant. Das weckte Begehrlichkeiten, auch beim DAV, der die Pacht kontinuierlich verteuerte. Da kann für einen Hüttenwirt die Höhenluft schnell mal noch dünner werden, als sie eh schon ist. Stefan Borger zog die Reißleine.
Zum Roiter kam er über die Klosterbrauerei Baumburg. Die hatte er durch Freunde in Truchtlaching, wo er inzwischen wohnt, kennengelernt. Er schilderte dem Braumeister seine Probleme mit dem österreichischen Fassbier – kaum kam’s aus dem Zapfhahn, war’s auch schon abgestanden. Klar, Bier ist normalerweise nicht für Höhenluft gebraut. Normalerweise. Die Baumburger haben ein wenig nachgedacht und schnell die Lösung gefunden. Vor zwei Jahren wurde erstmals das niedrig gespundete Baumburger Bergbier gebraut und geliefert. Der Qualitätstest überzeugte den Hüttenwirt und seine Gäste gleichermaßen.
So erfuhr Stefan Borger, dass Roiter-Besitzer Engelbert Gerstandl einen neuen Pächter suchte. Also praktisch genau Stefan Borger. Der hat sein Berghütten-Konzept an die Tallage angepasst. Er verwendet überwiegend Bioprodukte wie das Auerochsenfleisch aus Truchtlaching, Schweinefleisch von der Stiftung Attl – vollständige Tiere –, Gemüse der Bioland-Gärtnerei Großornach bei Obing und Produkte der Alztaler Hofmolkerei aus Hutlehen bei Garching. Die Karte ist regional und saisonal mit täglich wechselnden Gerichten ausgelegt.
Das Gasthaus Roiter mit seinem idyllisch fernab von Verkehrsströmen gelegenen Biergarten erreicht man zu Fuß oder mit dem Fahrrad aus Richtung Altenmarkt kommen mit Hilfe der Fähre, mit dem Schlauchboot oder natürlich mit dem Auto. „Für einen Wirt gibt es keinen schöneren Ort als das Gasthaus Roiter“, sagt Stefan Borger. Und der muss es wissen. Das Heinrich-Schwaiger-Haus ist ja auch ziemlich spektakulär gelegen.
Text & Fotos: Andreas Falkinger, luftaufnahmen-chiemgau.de
Gasthaus zum Roiter
Roit 1
83352 Altenmarkt an der Alz
Tel. 0 86 21 / 73 87
www.roiter.de
Öffnungszeiten:
Donnerstag bis Montag: 11 bis 23 Uhr