Weltenbummler auf vier Saiten
Claus Freudenstein: Ausnahmebassist, Erfinder des Minibasses, Musikschullehrer, Hochschuldozent, Mühldorfer
Vor dem Unterrichtsraum sitzt ein Mann auf einem Stuhl, ziemlich regungslos und schaut ins Leere. Am Nachmittag nach Unterrichtsende, dasselbe Bild. Auch am nächsten Tag in der Früh sitzt der Mann wieder vor dem Raum auf dem Stuhl, in verharrender Pose. Am Nachmittag immer noch. Claus Freudenstein kommt das seltsam vor. Eigentlich gibt es keinen Grund ihn hier zu bewachen, obwohl Honduras nicht überall ein sicheres Pflaster ist. Er spricht den Mann an und fragt ihn, weshalb er dort täglich vor seinem Unterrichtsraum säße. „Ich warte auf meinen Sohn“ erwidert der Mann, „er ist einer von ihren Schülern. Wir wohnen vier Autostunden entfernt von hier und fahren recht früh los, um pünktlich zu ihrem Unterricht hier zu sein. Dann warte ich, verschnaufe ein wenig und am Nachmittag fahren mein Sohn und ich wieder zurück, so dass wir vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sind. Claus Freudenstein befällt eine leicht ehrfurchtsvolle Gänsehaut und er zieht innerlich den Hut vor diesem Vater.
Warum Väter in den entlegensten Gebieten von Honduras solche Mühen auf sich nehmen und weshalb man dort besser bei Dunkelheit daheim ist und bei Überlandfahrten die Scheinwerfer ausschaltet, ist eine längere Geschichte, die in Mühldorf am Inn beginnt.
Vom Finanzbeamten zum Musikschullehrer
Etwas außerhalb von Mühldorf an einer Raststätte bin ich an einem drückend-schwülen Sommernachmittag mit dem Ausnahme-Bassisten Claus Freudenstein verabredet. Auf seiner Harley kommt er daher, trägt eine dieser Brillen mit den gelben Gläsern, die Haare locker zurückgebunden. Wir beschließen in einen schattigen Biergarten zu fahren. Dort erzählt Claus Freudenstein ein wenig aus seinem Leben und von der Suche nach den Dingen, die dem Leben wirklich einen Sinn geben.
Geboren in Altötting, aufgewachsen in Mühldorf und nach der Realschule relativ unentschlossen – so waren für Claus damals die Scheinchen, sprich das höchste Ausbildungsgehalt das entscheidende Argument, beim Finanzamt die Berufsausbildung zu beginnen und dort acht Jahre lang für den Freistaat Bayern zu arbeiten. Nebenbei fing er mit 19 Jahren an E-Bass zu spielen und entdeckte drei Jahre später den Kontrabass für sich. Begeistert vom Spiel einer Bassistin dachte Claus Freudenstein: „Was die kann, kann ich auch“ – und begann mit eiserner Disziplin das Instrument zu erlernen. Alsbald bemerkte er verwundert, „dass man das auch studieren kann“. Mit 24 kehrte er dem Finanzamt den Rücken und fing an Musik zu studieren. Zunächst in Augsburg, dann in München an der Musikhochschule und am Richard-Strauss-Konservatorium. Nach erfolgreich absolviertem Studium spielte Claus Freudenstein erst mal in einigen namhaften Orchestern als Klassik-Bassist.
„Man streicht zwar nur mit etwas Pferdehaar über mit feinem Metalldraht umsponnenen Schafsdarm, doch das kann es dann auch noch nicht gewesen sein“, dachte Claus bei sich. Um nicht eine weitere dramatisch-traurige Folge von „Der Kontrabass“, dem Ein-Mann-Theaterstück von Patrick Süskind zu leben, wurde Claus Freudenstein als Musikschullehrer in Mühldorf tätig. Im Zentrum steht für ihn, Kindern und Jugendlichen Spaß und die Freude an der Musik und am Musikmachen zu vermitteln und jeden seiner Schüler dort abzuholen, wo er in seinem Können gerade steht. Daraus entstand wenig später ein eigenes pädagogisches Konzept.
Der Minibass
Doch wie bitteschön soll ein Fünfjähriger auf einem Kontrabass spielen, wenn er weder das Instrument umfassen, noch die Finger an die richtigen Stellen setzten kann, weil das Kind zu klein und der Bass zu groß ist?
Da es vor rund 16 Jahren keine passende Antwort auf diese Frage gab, ersann Claus Freudenstein den „Minibass“. Zusammen mit einem Schreiner setzte er die Idee in klingendes Holz um. Der Prototyp für seine Minibass-Serie ist bis heute spielbar. Da sich der Minibass sehr schnell großer Beliebtheit erfreute, wurde die Konstruktion mit namhaften Geigenbauern weiterentwickelt und ging in Serie. Der Minibass ist bunt, hat die Form einer Acht und den wohlig-tiefen Klang wie sein großer Bruder, der Kontrabass. Und er ist nur echt mit dem Kürzel „CF“ von Claus Freudenstein darauf. Mit dem eigens für Kinder entwickelten Instrument und dem dazugehörigen pädagogischen Konzept zählte die Bass-Klasse von Claus Freudenstein in Mühldorf und Eggenfelden zwischenzeitlich mit bis zu 60 Schülern zu der größten in Deutschland.
Reisen und Rockmusik
In der unterrichtsfreien Zeit begann der Mühldorfer Musikschullehrer zu reisen. Nach Mittelamerika, Mexiko, in die USA, nach Kanada und Hongkong trug ihn die Musik seiner Kontra-Oktaven-Klänge. „Musik ist eine von Sprache und Nationalität unabhängige Form der Kommunikation und des Ausdrucks“, sagt Claus Freudenstein. Mit seinem Quartett The Bassmonsters verleiht er dem Kontrabass in Kombination mit Rockmusik einen völlig neuen Ausdrucksstil. Das Ensemble erfreut sich, ähnlich wie die finnische Klassik-Metal-Band Apocalyptica, durch ihre virtuose Rock-Klang-Performance einer medialen Honorierung und Aufmerksamkeit.
Als Gastdozent in aller Welt
Außerdem ist Claus Freudenstein mit seinem Solo-Programm „Crossing Borders“ im Zusammenklang mit dem aus Traunwalchen (Landkreis Traunstein) stammenden Pianisten Thomas Hartmann weltweit unterwegs. Dann wieder unterrichtet er als Gastdozent an vielen internationalen Universitäten in den Meisterklassen, aus denen schon einige namhafte Bassisten hervorgegangen sind. Durch sein Engagement in der Pädagogik und seine internationale Präsenz als Bassist hat ihn die International Society of Bassists zum „Director on the Board“ und nach New York als Dozent eingeladen. Ein nicht ganz unwichtiger, wenngleich schon „sehr elitärer Job“, erzählt Claus Freudenstein. Doch für seine Tätigkeit als Dozent durchaus bedeutend, denn es kommt nicht von ungefähr, dass der Bundesstaat Florida sein pädagogisches Konzept flächendeckend an allen Musikschulen einrichten möchte. Oder in Hongkong seine Bassklasse nach zwei Jahren weitaus besser war als die unter asiatischem Drill unterrichteten Kinder. Und deshalb fährt auch ein Vater in Honduras seinen Sohn vier Stunden zum Unterricht, weil sein Kind dort Freude und Leidenschaft in Kombination mit Virtuosität und Technik gelehrt bekommt.
Auszeit auf der Harley
In Ländern wie Honduras, wo abends die Scheinwerfer bei Überlandfahrten besser ausgeschaltet werden und die Fahrer eher intuitiv dem Straßenverlauf folgen, damit man nicht so schnell Opfer eines Überfalls wird, ist oft die Musik, das Talent und das erlernte Können ein Ausweg aus der alltäglichen Misere. Wenn sich so ein Ausweg über die Musik ermöglichen lässt, wird dieser von den Menschen dort mit Kontinuität und Hartnäckigkeit verfolgt. So wie Claus Freudenstein seinen Weg mit Disziplin und Ausdauer gegangen ist, immer auf der Suche nach Dingen, die ihn innerlich erfüllen. „Doch auch ich brauche zwischen all den wunderbaren Erlebnissen und Veranstaltungen, bei denen ich zugegen bin, meine Auszeiten“, meint der Musiker eher so nebenbei. „Ich setzte mich dann auf eine Harley und fahre für einen Tag übers Land. Zum Beispiel von San Diego nach San Francisco, durch Colorado oder ich schau mir im kanadischen Drumheller die Dinosaurier-Ausgrabungen an. Danach ist der Kopf wieder frei für neue Melodien. Claus Freudenstein komponiert viele seiner Werke selbst. So ist das Stück „Der Wolf“ in den USA entstanden.
Die drückende Hitze im Biergarten bei Mühldorf, in dem wir immer noch sitzen, wurde von einem lebhaften Wind verweht, es kündigt sich ein angenehmer Sommerabend an. „Wir leben eigentlich in einem Paradies“, kommt es Claus Freudenstein über die Lippen. „Bei uns ist fast jeder Grashalm in irgendeiner Form geordnet. Woanders ist das längst nicht so. Es ist egal, wie es dort neben den Straßen aussieht. Da liegt der Müll einfach herum oder Treppen bleiben einfach ohne Geländer. Bei uns wäre dies schon aus Sicherheitsgründen undenkbar. Von der Optik mal ganz zu schweigen. Vielerorts haben die Menschen größte Schwierigkeiten überhaupt ihr alltägliches Leben zu bestreiten. Bei uns hingegen wird in manchen Teilen wieder zu viel geordnet, verwaltet und kontrolliert. Dadurch vermindert sich leider oft die Kreativität, die Impulsivität und der Tatendrang künstlerisch-musikalische Ideen und Projekte umzusetzen.“
Bayerische Basstage in Mühldorf
Nicht bei Claus Freudenstein. Er organisiert und leitet seit fünf Jahren die „Bayerischen Basstage“ in Mühldorf, und das mit vollem Tatendrang. „Die Idee dazu war,“ so der Organisator, „die Nischen-Künstler, wie sich Bassisten oft sehen, zusammenzubringen und diese Ausnahmekünstler bei uns bekannter zu machen.“ Und so wird im Rahmen der „Bayerischen Basstage“ in diesem Oktober dem heimischen Publikum ein Stück der großen, weiten Bass-Welt in Mühldorf im Haberkasten präsentiert. In diesem Jahr konnte sogar Francois Rabbath, die 87 Jahre junggebliebene Streicher-Legende aus Aleppo (Syrien) für die Basstage als Dozent gewonnen werden.
Neue Wege
„Für den Blick in die Zukunft“, so beendet der Bassist und Musikpädagoge unser Gespräch, „ist die Bildung ausschlaggebend. Das erlebe ich in meiner Arbeit fast täglich. Und zwar die Art und Weise, wie jegliche Form der Bildung, ob es die Inhalte der Grundschule oder die des Minibass-Unterrichtes sind, an die jungen Menschen herangetragen wird. Hier braucht es noch viel Innovation und mutige, neue Wege.“
Wege wie jene, die Claus Freudenstein bislang beschritten hat. Sein nächster Weg geht übrigens übers italienische Lucca nach Brasilien, bevor man ihn im Oktober bei den Bayerischen Basstagen in Mühldorf unter anderem mit seinen Bassmonsters auf der Bühne hören und erleben kann.
Text: Silva Schlonski. Fotos: Andreas Falkinger / privat / Jano Lisboa / Toby Seifinger
Dr. h.c. Claus Freudenstein
Lehrer für Kontrabass & E-Bass an den Städtischen Musikschulen Mühldorf am Inn und Eggenfelden
Tel. 0 178 / 7 98 36 11
info@claus-freudenstein.de
www.claus-freudenstein.de
www.bassmonsters.de
www.bavarian-bassdays.com