Brunsgaudi
Der Weiherer über Dobrindt, Datensammelwut und verwehrte Bürgermeisterehren
Geboren im oberbayerischen Burghausen und aufgewachsen im niederbayerischen Zeilarn lebt Christoph Weiherer inzwischen wieder in Oberbayern. In München gar. Ganz was anderes als Zeilarn, nicht nur wenn er aus dem Fenster schaut. Da ist ein bisserl mehr los. Beim Baumburger Kultursommer gewährte der Weiherer intensive und höchst amüsante Einblicke in seine Hirnwindungen – und griff dabei auch einige bumberlgsund-Herzensangelegenheiten auf. Den Ball lassen wir uns gern zuspielen. Dangschee.
SZ. Selm zschuld, die Brunsbüttlianer. Oder heißt’s Brunsbüttler? Brunsbütteler? Eh wurscht, bei dem Namen. Kann man sich ja vorstellen, wie der entstanden ist, so rein historisch. Da hat vor Hunderten von Jahren wahrscheinlich ein Ordnungshüter, genannt Büttel, immer an dieselbe Stelle uriniert, bis die als öffentliche Bedürfnisanstalt galt – und gut gegossen ist drumherum dann der Ort Brunsbüttel gewachsen. Jedenfalls sind sie selbst schuld, die Brunsbütteler. Mussten’s am 24. Juni noch mal an die Urnen. Bürgermeister-Stichwahl. Dabei hätten die am 10. Juni schon alles klar machen können. Dann hätten’s jetzt einen niederbayerischen Bürgermeister. Wenn’s den Weiherer zur Wahl zugelassen hätten. Vielleicht war ihnen diese Vorstellung einfach zu multikulti.
Ja, diese Schleswig-Holsteiner sind schon ein undankbares Völkchen. Wer hat denn das Kaff bayernweit, wenn nicht sogar bundesweit erst bekannt gemacht? Kein Hahn würde nach Brunsbüttel krähen, hätte sich der Weiherer nicht dermaßen dafür krummgelegt. Brunsbüttel, pfff. Aber was will man auch erwarten? Das sagt doch alles: Erstmals urkundlich erwähnt wird Brunsbüttel quasi als Glasscherbenviertel auf Bewährung. 1286 mussten die Brunsbütteler ihrem Lehnsherren Giselbert von Brunkhorst, dem Bremer Erzbischof, versprechen, dass sie ab sofort nicht mehr dem Strand-raub nachgehen und die Hamburger Kaufleute gefälligst in Ruhe lassen. Nachfahren von Strandräubern, von Kriminellen sind sie. Praktisch die Australier Norddeutschlands. Viele Gelegenheiten hatten die nicht positiv aufzufallen. Gut, einmal, 2007. Da haben’s ihr Kernkraftwerk – eines der störanfälligsten Deutschlands – runtergefahren. Da wär’s doch auf einen niederbayerischen Bürgermeister wirklich nicht mehr angekommen.
An der Sprachbarriere kann’s ja nicht liegen. Der Weiherer hat schon mehrere restlos ausverkaufte Konzerte in Brunsbüttel gegeben; am 21. Juli ist er wieder dort, bei der „Wattolümpiade“. Die verstehen ihn durchaus. Er wurde sogar vom Brunsbütteler Verein für Handel, Gewerbe und Industrie zum „Bootschafter“ der Stadt ernannt. Aber vermutlich haben die Brunsbürger gemeint, es wäre schon praktisch, wenn ihr Brunsbürgermeister auch am Ort wohnen würde.
Oder aber der als Liedermacherrebell geltende Weiherer ist ihnen nicht konservativ genug. Viel zu kurz gesprungen. Konservativ kommt vom lateinischen „conservare“. Bewahren. Der Weiherer ist konservativ, selbstverständlich. In Bayern wird täglich eine Fläche von mindestens 13 Fußballfeldern asphaltiert und zubetoniert, um die 4.800 Hektar sind das im Jahr. Eine Fläche von der Größe des ganzen Teutoburger Waldes. Das gefällt dem Weiherer nicht, und er singt dagegen an. Unter anderem.
Und seien wir doch mal ehrlich: Wie viele dekorative Flachbauten samt schmucken Discounterparkplatzwüsten auf der grünen Wiese wären uns womöglich erspart geblieben, wenn diverse Bürgermeister sich wegen anhaltender Abwesenheit nicht dafür hätten einsetzen können. Aber die Gewerbesteuer? Die ist doch wichtig fürs Gemeindesäckel? Mhm. Die zahlt der Discounter, wenn’s wahr ist, gemeinhin in Mülheim an der Ruhr, Neckarsulm, Nürnberg, Maxhütte-Haidhof, Bönen, Köln, Dortmund, Telgte. Am Standort der Zentrale. Nicht in Chieming, Freilassing, Garching, Haag, Frasdorf. Oder Brunsbüttel. Den Gemeinden bleibt der Anteil an der Lohnsteuer, die die Discountermitarbeiter abdrücken. Sofern’s keine steuerfreien 450-Euro-Jobs sind. Fläche weg, Gemeindekassen leer, Spitzengeschäft. Da hilft’s nix, dass Kommunalpolitik und Bürger keine Sprachbarriere trennt. Man kann einander durchaus auch nicht verstehen, wenn man dieselbe Sprache spricht. „Konn i de Sprach no beherrschn, wenn i de Leid ned vasteh?“, fragt er Weiherer in seinem Lied „Is des nu mei Hoamat?“ – und am Ende dreht er’s um: „Konn i de Leid no beherrschn, wenn i de Sprach ned vasteh? Konn i des Land guad beherrschn, wenn i de Leid ned vasteh?“ Ja. Geht.
Aber damit tun wir den Bürgermeistern schon ein bisserl unrecht. In der Bayernhymne heißt’s: „Er (also Gott, Anm. d. Red.) behüte deine Fluren.“ Vom Bürgermeister ist nicht die Rede. Der ist gar nicht zuständig.
Natürlich ist der Weiherer ein Bewahrer. Nach seinen politischen Zielen befragt, hat er angegeben, er wolle sich dafür einsetzen, dass Brunsbüttel auf alle Fälle zumindest die Postleitzahl erhalten bleibt. 25541. Ganz uneigennützig ist das nicht, wobei in der politischen Landschaft Eigennutz nicht zwangsläufig schadet.
Damit hat das alles ja angefangen, mit der 25541. Den Weiherer hat nämlich genervt, dass er im Supermarkt, im Baumarkt, im Möbelhaus ständig nach der Postleitzahl gefragt wurde. Da ist ihm die Spitzenidee gekommen – oder waren es doch die falschen Tabletten? – bei diesen Gelegenheiten künftig nur noch die Postleitzahl von Brunsbüttel anzugeben. 25541.
Ein erfrischend kritischer Geist
Der Weiherer ist einer, der gern hinter Fassaden schaut, um die Ecken denkt. Und deshalb hat er sich gefragt, was die Konzerne mit seiner Postleitzahl machen. Zu statistischen Zwecken wird die erhoben, Erkenntnisse zum Einzugsgebiet ihrer Märkte erwarten sich die Unternehmen, damit sie die Briefkästen mit ihren Prospekten noch voller machen können. Prospekte voller Artikel, die keiner braucht, viele sich nicht leisten können, aber trotzdem kaufen, um sie verstauben zu lassen und sie dann zu entsorgen. Hauptsache, die Werbung nimmt die Zielgruppe exakt ins Visier. Zielgerichtet. Das Ziel haben der Weiherer und die Leute, die’s ihm inzwischen gleichtun, verlegt. Nach Brunsbüttel. Die haben auch schöne Altpapiersammelbehälter.
Statistik, Daten sammeln, ganz wichtig. Grad wenn man mit Karte zahlt, ist die Postleitzahl bestimmt exakt die Information, die dem Unterhaltungselektronikkonzern gerade noch fehlt. Und Handel mit Daten findet eh nicht statt. Geh weider. „Wir sind ganz vorn mit am Start, wir haben die DeutschlandCard.“ Da regen wir uns (zurecht) auf, dass Facebook unsere Daten nach China verscherbelt. Aber wenn wir im Supermarkt ein Fünferl Rabatt kriegen, dann breiten wir lückenlos unser Konsumverhalten aus. Die wissen, was wir frühstücken, wie oft und wie viele Kondome wir kaufen und welches Klopapier wir benutzen. Und die wissen das nicht, weil sie uns ausspionierten, nein, wir liefern denen die Daten frei Haus. Dafür sind wir aber ganz vorn mit am Start, wer wollte das nicht? Blöd nur, wennst dann im Ziel trotzdem wieder nur ganz hinten bist.
Jetzt wären wir fast ein bisserl abgeschweift. Liegt vermutlich am Weiherer, der schweift auch immer ab. Eigentlich geht’s hier ja um den Weiherer-Auftritt beim Baumburger Kultursommer. Dass Veranstalter Muk Heigl das Konzert in den Rossstall verlegt hatte, weil er dem Wetter nicht traute, sich die dräuenden Wolken dann aber während des ganzen Abends kein einziges Tröpferl abringen konnten, hat sich Heigl während des dreieinhalbstündigen (!) Konzerts oft genug anhören dürfen. Der Stimmung tat’s eh keinen Abbruch.
Die Stimmung war hervorragend. Liegt in der Natur der Sache. Zum Kabarettabend gehen Leute, die wegen derselben Dinge granteln wie der Kabarettist. Nur meistens weniger pointiert. Dadurch ändert sich zwar nichts, aber die Alternative, sich über diese täglichen Aufreger mal nicht nur aufregen zu müssen, sondern drüber lachen zu können, die ist Grund genug, so eine Veranstaltung in vollen Zügen zu genießen. Oder in vollen ehemaligen Baumburger Rossställen.
Weil’s halt auch mal ganz fein ist zu merken, dass man mit seinem gesellschaftskritischen Unwohlsein nicht ganz allein dasteht. Wenn man mitbekommt, dass auch andere – wie zum Beispiel der Weiherer – teilamüsiert die enorme Leistung der CSU registrieren, das Bundesverkehrsministerium stringent und konsequent ansteigend reziprok proportional zum Kompetenzquozienten zu besetzen. Was das bedeutet, müssen Sie sich selbst zusammenfünferln; ich hatte schon beim Schreiben Mühe meinen Gedankensprüngen nachzukommen, da will ich’s nicht durch eine Erklärung unnötig banalisieren. Ein Tipp: Leichter wird’s, wenn Sie sich parallel zur Lektüre Dobrindt und Scheuer vors geistige Auge holen.
Minarett lässt immer noch auf sich warten
Der Dobrindt. Ein ewiger Quell nie enden wollender Heiterkeit und überbordender Logik. „Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“ Schon zwingend, wie er argumentiert, der Dobrindt. Da hat sich der Weiherer, der gegen Kernenergie und Stuttgart 21 demonstriert hat, extra einen Schrebergarten angemietet, damit er Platz hat für sein Minarett. Im dritten Stock z’Minga wär’s vielleicht doch ein bisserl schwierig geworden. Und was passiert? Nix. Bis heute hat er kein Minarett. Wo er sich schon so drauf gefreut hat. Leere Politikerversprechungen wieder mal. Wer vorgestern als Generalsekretärslautsprecher agitiert hat und gestern als Bundesverkehrsminister der Autoindustrie bis zum Anschlag in den Auspuff gekrochen ist, der muss sich heute dann auch nicht wundern, wenn er nur noch für die CSU-Landesgruppe Kaffee holen darf. Wobei – das wäre für einen Dobrindt schon fast zu viel der Logik.
Jedenfalls hat er brav gesungen, geklampft, Mundharmonika gespielt, der Weiherer. Dass sein Gitarrenspiel mit dem Santanas, Claptons oder Lewandowskis nicht mithalten kann – geschenkt. Dass ihm beim druckvollen Singen bisweilen die Stimme wie einem Fünfzehnjährigen wegkiekst – auch geschenkt. Ein großer Sänger wird er eh nicht mehr. Über Bob Dylan hat mal ein Kritiker geschrieben, dessen Stimme klänge, als würde sie über die Mauer eines Sanatoriums für Lungenkranke geweht. Hat dem Erfolg Dylans nicht geschadet, im Gegenteil. Immerhin hat er den Literaturnobelpreis bekommen. Der auch grad aus dem letzten Loch pfeift. Man müsste direkt mal nachschauen, ob Dylan einen „Echo“ rumstehen hat. Würde einiges erklären, was den Niedergang dieser Preise betrifft.
Wieder abgeschwiffen, so werden wir ja nie fertig. Mit Dylan wird der Weiherer gelegentlich verglichen, mit Fredl Fesl und Hans Söllner auch. Protestlieder, Freiheitslieder – Freiheit für Niederbayern! – singen die alle. Solche Vergleiche braucht Weiherer nicht zu scheuen, obwohl oder grade weil er auf der Bühne seinen ureigensten Blickwinkel auf die Dinge auslebt. Und da ist er konsequent.
Meister of Merchandising
Seine Konsequenz zeigt sich nicht zuletzt beim Merchandising. Wenn er T-Shirts verkauft, dann sind die Stoffe nicht von Kinderhänden in Bangladesch gewebt. Von den Leiberln prangt übrigens nicht Weiherers Konterfei, sondern – selbstverständlich – die Postleitzahl von Brunsbüttel. Genauso von den Tassen, den Brunsbechern. Und von der Stofftasche, dem Bio-Bruns-Beutel. Und von der Baseballkappe auch. Das lässt Weiherer alles von Unternehmen aus der Umgebung herstellen, saubere, nachhaltige Arbeit zu fairen Löhnen mit sauberen, nachhaltigen Rohstoffen, das ist ihm wichtig. Nur die neueste Errungenschaft, eine Wandfliese, die wollte ihm kein bayrischer Hersteller produzieren, dafür musste er nach Baden-Württemberg ausweichen. Dort versteht man nicht, was draufsteht. Die Postleitzahl von Brunsbüttel schon. Aber mit dem Wort darunter wollen seriöse bayrische Baukeramiker nicht in Verbindung gebracht werden.
Des einen Verlust ist des anderen Gewinn. Kein Geschäft für den bayrischen Fliesenhersteller, dafür eins für den baden-württembergischen. Haben die Brunsbütteler halt keinen niederbayerischen Bürgermeister, der den Brunsbütteler Fremdenverkehr ankurbelt, aber wir dafür einen niederbayerischen Musikkabarettisten, der den Brunsbütteler Fremdenverkehr ankurbelt. Auch recht. Ach ja, die Fliese ist natürlich nicht nur eine Fliese mit der „25541“. Die Fliese ist eine Brunskachel.
Text & Fotos: Andreas Falkinger