.webflow. Ihr Hoster im Chiemgau.

Rebellisch. Schon immer.

Erika Holzapfel verwirklicht im Rentenalter ihren Traum vom Leben für Kunst und Kultur

Nach dem Zweiten Weltkrieg heimatvertrieben, ohne Eltern auf der Flucht, wieder sesshaft geworden, als Landwirtin gearbeitet und dabei vier Kinder großgezogen – auf ihrer Lebensleistung könnte sich Erika Holzapfel mit ihren 78 Jahren ausruhen. Macht sie aber nicht. Vor 15 Jahren hat sie in Oberbrunnham bei Tacherting ihr „Kulturhaus Holzapfel“ aus der Taufe gehoben, das sie geerdet, aber mit großer Leidenschaft führt.

„Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben und ein schöpferischer Mensch sein kann, wird gern vergessen.“ Wenn dieser Satz heute so fiele, dann müsste er heftige Kontroversen, vehementen Widerspruch auslösen. Aber er stammt aus einer Zeit, in der es mit der Gleichberechtigung noch nicht weit her war. Frauen durften in Deutschland gerade mal seit sieben Jahren wählen und an staatlichen Akademien studieren, als Gabriele Münter den Satz 1926 in ihr Tagebuch schrieb. Die Künstlerin wurde von vielen ihrer Zeitgenossen als eine Art Zierfischerl Wassily Kandinskys wahrgenommen.

Und doch – sie war eine prägende Künstlerpersönlichkeit des deutschen Expressionismus, Mitinitiatorin des Blauen Reiters. Dass sie offiziell nicht zu den Gründerinnen gehört, liegt nur daran, dass sie das Manifest nicht unterzeichnete – „aus Bescheidenheit“, wie sie selbst einmal sagte. Unfassbar eigentlich aus der Perspektive einer Gegenwart der entfesselten Selbstvermarktung, einer Zeit, in der weitgehend talentbefreite Menschen vor einem Millionenpublikum Superstar spielen wollen. Sie kaufte das „Russen-Haus“ in Murnau und gab dem Blauen Reiter damit eine Heimstatt. Für den „Almanach“, den die Künstlergruppe herausgab, fungierten Kandinsky und Franz Marc als alleinige Herausgeber – an der Konzeption der Zeitschrift arbeitete wesentlich Gabriele Münter. Und sie organisierte viele Ausstellungen. Während der NS-Zeit versteckte sie einen großen Teil von Kandinskys Frühwerk, als „entartet“ gebrandmarkt, in ihrem Keller und rettete es vor dem Zugriff der Nazis. Die Gemälde machte sie nicht zu Geld – an ihrem 80. Geburtstag schenkte sie die Bilder der Stadt München, wodurch die Städtische Galerie im Lenbachhaus Weltrang erlangte. Gegen jede gesellschaftliche Repression lebte sie unabhängig ihr Leben als Künstlerin und als Frau. Ein bescheidenes Jahrhunderttalent, eine starke Frau, die sich nicht nur künstlerisch emanzipierte, ein Vorbild nicht nur als Malerin.

Vorbild: Gabriele Münter

Man könnte sich sein Lebensleitbild durchaus weniger ambitioniert wählen. Talent, Bescheidenheit, Energie, Großzügigkeit, zupacken, für andere da sein, das direkte und das große Umfeld nicht nur beobachten, sondern dabei sowohl den Willen als auch den Mut aufbringen es zu gestalten – das machte Gabriele Münter aus. Und genau die nimmt sich Erika Holzapfel zum Beispiel. Künstlerisch und menschlich.

Talent und Bescheidenheit: „Ich male, seit ich denken kann. Ich hatte immer Pinsel, Papier, Stifte.“ Erika Holzapfels erste große Leidenschaft. Im Laufe der Zeit entdeckte sie den Expressionismus für sich, und da besonders Münters Werke, ihre farbintensiven Stillleben, Landschaftsbilder, die abstrakten Studien. Eine künstlerische Ausbildung war Erika Holzapfel nicht möglich, das ließen die Lebensumstände gar nicht zu. Also malte sie autodidaktisch. Dabei macht sie nicht viel Aufhebens um ihre Kunst. Sie malt, weil es ihr Freude bereitet. Im vergangenen Jahr wurde ein Teil ihrer Arbeiten in der Galerie im Haus des Gastes in Gstadt gezeigt – nicht weil Erika Holzapfel den Drang hätte, mit ihren Bildern an die Öffentlichkeit zu gehen. Eine Freundin hatte sie mühsam überredet, an der Gemeinschaftsausstellung teilzunehmen. Bei ihren Veranstaltungen im Kulturhaus Holzapfel in Oberbrunnham bei Tacherting trifft sie immer wieder auf ausgewiesene Experten, die ihr Talent bescheinigen. Na und? Erika Holzapfel hängt ihre Gemälde an die eigenen vier Wände – und alles ist gut. Reicht. Nein, bauchpinseln lassen muss und will sie sich nicht.

Erika Holzapfel im Garten ihres Kulturhauses in Oberbrunnham bei Tacherting.

Energie: Erika Holzapfel weiß, was sie will, beharrlich verfolgt sie ihre Ziele. Das mag manchen überfordern, der einer 78-Jährigen diese Tatkraft und Durchsetzungsfähigkeit nicht zutraut. Aber: Wenn man mit 78 Jahren Lebenserfahrung, wachem Geist und klaren Vorstellungen nicht in der Lage ist, seinen Weg konsequent zu gehen – wann dann? Letztlich entwaffnet sie jeden Widerständler mit ihrer Offenheit. Weil sie in der Lage ist, Menschen mitzunehmen, zu begeistern.

78 Jahre Lebenserfahrung, das schreibt sich so locker dahin, vor allem wenn man sie selbst gar nicht hat. Für Jüngere ist der Weg Erika Holzapfels schwer nachfühlbar. Nach dem Krieg wurde sie vertrieben, musste die Heimat verlassen. Ohne Eltern, nur mit den Geschwistern. Entwurzelt. Das eigene Leid zu thematisieren liegt ihr nicht, die Leistung ihrer großen Schwester, die für die Kleinen zur Ersatzmutter wurde, schon. „Unsere Schwester nähte. Sie schaffte es, dass wir immer ordentlich gekleidet waren.“ Quasi mit nichts. Erika Holzapfel war ein talentiertes Kind, musisch veranlagt, dazu eine ausgezeichnete Schwimmerin. Sportlerinnenkarrieren gab’s zu der Zeit nicht wirklich, und eine Künstlerinnenkarriere kam eh nicht in Frage für ein Flüchtlingskind in der Nachkriegszeit. Sie heiratete, heiratete ein zweites Mal, führte mit ihrem Mann das landwirtschaftliche Gut Rottenried bei Gilching südlich von Fürstenfeldbruck, zog vier Kinder groß, kam zu Wohlstand, arbeitete noch mehr.

Man hört’s ja oft: Der Abschnitt des erfüllten Arbeitslebens geht zu Ende, es kommt die große Leere. Ihr Mann war inzwischen gestorben, die Kinder waren aus dem Haus, die Nachfolge geregelt. Aber Leere? Sicher nicht. „Ich war ein aufsässiger, ein rebellischer Mensch. Schon immer. Ich wollte mich nie damit abfinden, dass frau das und das nicht darf. Hab ich auch nicht.“

Neun Enkelkinder hat sie. Mit 62 Jahren beschloss Erika Holzapfel, dass ihr Lebenszweck trotzdem nicht das Hüten ihrer Enkel sein soll. Auch wenn „man“ das von der Frau im Ruhestand so erwartet. „Nicht falsch verstehen: Natürlich bin ich für die Kinder und die Enkel da, wenn sie mich brauchen.“ Aber den Rest ihrer Tage im Lehnstuhl zu verbringen, den Kleinen Märchen vorzulesen und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen – das kam nicht in Frage.

Kunst ohne soziale Aspekte – das kann es für Erika Holzapfel nicht geben. Kunst und Kultur haben für sie immer mit Austausch zu tun, mit Teilen, nie mit Vereinzelung. Da unterscheidet sie sich von Gabriele Münter. Die zog sich immer weiter ins Private zurück, nachdem sie von Kandinsky verlassen worden war. Erika Holzapfel ging den entgegengesetzten Weg: nach außen. Aber nicht, um eine Projektionsfläche für sich und ihre künstlerische Ader zu schaffen. Auch hier dachte sie eher an andere.

„Kleines Sacherl“ mausert sich zum Kulturhaus

Ein eigenes Kulturhaus sollte es werden. Ein Kulturhaus, in dem sie Ausstellungen und Konzerte organisieren kann. Im ländlich geprägten Raum, Erika Holzapfel war Landwirtin, so jemand lässt sich nicht in die Stadt verpflanzen. Den Geruch von Erde, die Pflanzen in ihrem Bauerngarten wachsen zu sehen, die Bäume, die Bienen und die Frösche, das alles braucht sie genauso wie die Kunst. Die Nachfolge im Gut Rottenried war geregelt, sie machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Objekt, möglichst in der Region, in dem sie ihren Traum vom Kulturhaus verwirklichen konnte. „Aber das war praktisch aussichtslos in der Gegend um Fürstenfeldbruck und Starnberg.“ Doch dann fand ihre Tochter Julia eine Annonce. „Kleines Sacherl mit zweieinhalb Hektar Grund zu verkaufen.“ Der Hof auf dem Höhenrücken in Oberbrunnham bei Tacherting.

Erika Holzapfels Gemälde sind vom Expressionismus Gabriele Münters inspiriert.

„Ich ließ mir Fotos vom Rundumblick schicken, in alle Himmelsrichtungen. Der Blick vom Haus gefiel mir sofort.“ Beim Besichtigungstermin kam dann die Ernüchterung: Den Zustand des Gebäudes konnte der Reiz der Landschaft nicht aufwiegen. „Ich bin runtergefahren, ausgestiegen – und gleich wieder gefahren. Das Haus war dermaßen heruntergekommen. Für mich war der Fall eigentlich erledigt.“ „Eigentlich“ heißt meistens: Es kommt dann doch anders. Erika Holzapfel ließ sich zu einem weiteren Besichtigungstermin überreden. Und zu noch einem. „Je öfter ich das Haus sah, desto deutlicher sah ich auch, was man daraus machen könnte.“

Wohntrakt, Ausstellungs- und Konzertsaal, Bauerngarten, Streuobstwiese, ein kleiner Teich. Das alles nahm in ihrer Vorstellung bereits Gestalt an. Zu verwirklichen war das Ganze aber nur mit immensem Einsatz. Einsatz, den mit 62 sicher nicht jeder aufzubringen bereit ist. Haus- und Grundstückskauf, planen, Anträge stellen, Genehmigungen einholen, das marode Gebäude abreißen, es zeitgemäß und doch geschichtsbewusst neu aufbauen, einrichten, die Außenanlagen realisieren. Und natürlich das alles auch bezahlen.

Von Anfang an versuchte Erika Holzapfel, die Menschen in ihrer neuen Umgebung teilhaben zu lassen, mitzunehmen. Den Eindruck, da kommt eine spleenige Trulla aus München, die sich auf dem Lande selbstverwirklicht, wollte sie erst gar nicht entstehen lassen. „Ich hab zehn, zwölf direkte Nachbarn. Ich hoffte, dass einige davon zum Richtfest kommen. Letztlich waren mehr als 100 Leute da.“ Darüber freut sie sich noch heute.

Der Kunst ist beinah alles untergeordnet

Zurück zu den Münter-Parallelen. Großzügigkeit, zupacken, für andere da sein. Kunst und Kultur sind für Erika Holzapfel untrennbar mit dem sozialen Aspekt verschränkt. Sie stellt ausschließlich zeitgenössische Werke lebender Künstler aus, keine musealen Werke. Zwei Mal im Jahr stemmt sie die Ausstellungsorganisation, weitgehend allein, sucht Künstler aus, besucht Ausstellungen, regelt Termine, verschickt hunderte Einladungen. Die „Zulassungsvoraussetzung“: die Arbeiten müssen ihr gefallen. Diese Begeisterung will sie mit möglichst vielen Menschen teilen. Weil zeitgenössische Künstler meistens nicht des überbordenden Reichtums verdächtig sind und in der Regel keine Höchstpreise am Markt erzielen, wenn sie nicht gerade Baselitz, Rauch oder Richter heißen, überlässt ihnen Erika Holzapfel den Ausstellungsraum kostenlos. Und nicht nur das: Auch Flyer, Plakate und das Porto für die Einladungen finanziert sie. „Schauen Sie, die Leute glauben immer, ich sei reich. Es ist aber doch so: Ich habe alles weitergegeben und vererbt. Heute lebe ich von einer Leibrente. Fast alles, was ich habe, gebe ich für Kunst und Künstler aus.“ Für sie würde es sich vermutlich unecht anfühlen, wenn sie nur aus der Position der saturierten Mäzenin handeln würde. Das Wort heißt Leidenschaft. Wenn die gelebt wird, steckt immer auch ein bisschen Leiden drin. Wobei man’s damit ja nicht übertreiben muss. Mit dem Leiden.

Hilfe für Kinder in Not

Der soziale Aspekt – der wäre ein wenig dünn, wenn ihn Erika Holzapfel nur auf die Künstler beschränken würde. Tut sie nicht, bei weitem nicht. Vielleicht liegt der Grund für ihre Großzügigkeit und ihren unermüdlichen Einsatz in ihrer eigenen Kindheit begründet, in den Entbehrungen, im Verlust der Eltern, der Wurzeln, im Leid. Jedes Jahr veranstaltet sie Lesungen, Benefizkonzerte und im September ihr Brotfest. Alles, was an Geld, an Spenden reinkommt, geht ohne Abstriche an gemeinnützige Organisationen, die damit im Landkreis Traunstein in Not lebenden Kindern helfen. Für dieses Engagement wurde Erika Holzapfel im Jahr 2015 ausgezeichnet. „Kultur leben – Horizonte erweitern“ lautete vor drei Jahren das Motto des Deutschen Bürgerpreises, der auch im Landkreis Traunstein vergeben wurde. Gesucht wurden Menschen, Organisationen und Projekte, die freiwillig im Kulturbereich engagiert sind. Landrat Siegfried Walch überreichte Erika Holzapfel den Preis in der Kategorie „Alltagshelden“ für ihr kulturelles und soziales Engagement.

Und noch ein sozialer Aspekt: Für das Brotfest hat Erika Holzapfel einen Kreis aus Helfern und Helferinnen um sich geschart, die gemeinsam zupacken, damit ein möglichst hoher Erlös für Kinder in Not rauskommt. Mit dem Brotfest festigt sie also auch die Gemeinschaft. Der Chieminger Biobäcker Helmut Stumhofer und seine Frau Katharina backen im freistehenden Steinbackofen des Kulturhauses nach traditioneller Art Brote. Der Traunsteiner Maler Helmut Günter Lehmann stellt kostenlos Bilder zur Verfügung, die meistbietend, aber immer noch zu sehr moderaten Preisen, erworben werden können. Bei den Vorbereitungen und der Bewirtung der Gäste wird Erika Holzapfel von einem „harten Kern“ aus Tacherting und Umgebung unterstützt; während des Festes musizieren Schüler der Musikschule Emertsham. Helfen als Gemeinschaftserlebnis – auch das hat Erika Holzapfel in ihrem Kulturhaus kultiviert.

„Bildhauer kommen im normalen Ausstellungsbetrieb meistens zu kurz. Darum gibt’s bei mir fast immer die Kombination Skulptur-Gemälde.“ Wer sich für das eine interessiert, bekommt das andere automatisch mit. Und um auch noch Musik- oder Literaturliebhaber für bildende Kunst zu begeistern, veranstaltet Erika Holzapfel während der Ausstellung regelmäßig Lesungen oder Konzertabende. fal

Kulturhaus Holzapfel

Oberbrunnham 20
83342 Tacherting
Tel. 0 86 34/62 33 10
www.kulturhaus-holzapfel.de