Selbst ist die Frau
Renate Polk – Bio-Unternehmerin mit Mut, Entschlossenheit und Tatkraft
„Gemüse ist etwas wahnsinnig Ästhetisches.“ Wenn Renate Polk so über ihre Produkte spricht, dann meint sie keinesfalls normierte Gurken, wie sie üblicherweise in den Supermarktregalen liegen. Gemüse, wie es wächst und gedeiht, hat sie dabei im Sinn. Auf 2.500 Quadratmetern Gewächshausfläche und einem Hektar Freiland baut sie mit ihrem Team in der Gärtnerei Eschlbach in einer Talsenke zwischen Edling und Pfaffing Feingemüse, frische Kräuter und Gewächshauskulturen an. Biologisch natürlich. Der Großteil der Ernte geht an die eigenen Biomärkte in Wasserburg und Poing, aber auch der regionale Großhandel gehört zu den Abnehmern.
Den Betrieb hat Renate Polk Stück für Stück aufgebaut, weitgehend eigenhändig. „Ich bin in München aufgewachsen, in einer großen Familie. Wir lebten ziemlich beengt in einem Wohnblock. Vom Landleben hab ich schon früh geträumt.“ Beim Träumen blieb’s nicht: Erste Station war Tulling. Mit ihrem damaligen Mann und den beiden kleinen Kindern lebte die gelernte Erzieherin in einem Häuschen am Dorfrand. „Dazu gehörte ein Acker, den ich bewirtschaftet habe.“ Ganz am Puls der Zeit. Der Gedanke, dass die Natur durch die industrielle Wirtschaft bedroht sei, hatte Einzug in die aus dem Widerstand gegen die Kernenergie entstehende Ökologiebewegung der 80er-Jahre gehalten; diverse Öko-Anbauverbände wurden gegründet. In diesem gesellschaftlichen Klima beschloss Renate Polk, ihre Familie so weit wie möglich mit Biogemüse selbst zu versorgen.
Familie, Häuschen, ein Feld, Geruch von Erde, Landleben. Genug des Idylls. Die Beziehung zerbrach, Renate Polk stand als alleinerziehende Mutter da. Das Haus war nicht zu halten, sie brauchte eine neue Bleibe für sich und die Kleinen. In dieser schwierigen Situation legte Renate Polk genau die Mentalität an den Tag, die ihr Berufsleben prägt: Mut, Entschlussfreude, die Bereitschaft zum kalkulierten Risiko und Tatkraft. Klar war einerseits, dass sie den Kindern ein möglichst optimales Lebensumfeld schaffen musste; klar war aber auch, dass sie ihren Lebensunterhalt mit einer eigenen Biogärtnerei bestreiten wollte.
Vom Bauwagen zum Unternehmen
Renate Polk suchte das dafür geeignete Land – und wurde fündig: zwei Hektar am Rand des Naturschutzgebietes Atteltal. 1992 begann sie, die Gärtnerei Eschlbach aufzubauen. „Anfangs war das alles noch sehr improvisiert. Die erste Zeit lebten wir im Bauwagen und in Hütten.“ Weil sie in ihrer Lage nicht mit einem Bankkredit rechnen konnte, besorgte sie sich das Startkapital anderweitig: Sie stellte ihr Geschäftsmodell Investoren vor, die nachhaltige Projekte finanzieren wollten – und es klappte: Mehrere private Kleininvestoren ließen sich begeeistern und unterstützten das Projekt. Mit dem allerersten Kreditgeber Peter Schmidt, Geschäftsführer der WOGENO, ist Renate Polk immer noch gut befreundet. Gemeinsam erinnern sie sich gerne an die Anfänge vor mehr als 30 Jahren.
Mit immensem Fleiß und Beharrlichkeit ließ sie diesen Traum immer weiter Gestalt annehmen. Von Anfang an bewirtschaftete Renate Polk ihr Land nach biologischen Richtlinien. Gleich im ersten Jahr wurde die Gärtnerei Eschlbach Mitglied bei Naturland, einem internationalen Verband für ökologischen Landbau. „Dabei geht’s um den langfristigen Erhalt der Bodenfruchtbarkeit. Wir arbeiten schon immer ohne chemische Pflanzenschutzmittel, ohne Herbizide, ohne Kunstdünger. Stattdessen vertrauen wir auf den Einsatz von Nützlingen, auf sehr viel Handarbeit und ausschließlich organische Düngemittel.“ Höchsterträge seien selbstverständlich so nicht zu erzielen, dafür aber gesundes Gemüse und eine gesunde Umwelt.
Pittoresk – aber nur von außen besehen
Ein Arbeitsleben im Einklang mit der Natur und mit dem Bewusstsein, das Richtige zu tun – das lässt sich von außen betrachtet allzu leicht verklären. Steckt man drin, ist für Romantizismen wenig Raum. Die Abhängigkeit vom Wetter, das die Ernte und damit den unternehmerischen Erfolg jedes Jahr anders ausfallen lässt; der Aufbau verlässlicher Vertriebswege; der körperlich strapaziöse Anbau einerseits, die nicht minder belastende Ochsentour bei Wind und Wetter über die Wochenmärkte andererseits; die Kraft, die zu investieren ist, um den Verbraucher davon zu überzeugen, dass er sich selbst mit dem Kauf von Bioprodukten im Allgemeinen und mit Gemüse von der Gärtnerei Eschlbach im Speziellen etwas Gutes tut; die Konkurrenzsituation mit den konventionellen Erzeugern, die über die Masse und damit über den Preis kommen; der Einfluss der Arbeit aufs Familienleben, das sich zwangsläufig völlig anders gestaltet als beispielsweise das der Freunde der Kinder – das Bild vom pittoresken Landleben sieht anders aus.
Umso bewundernswerter sind die Energie, die Konsequenz und die Unbeirrbarkeit, mit der Renate Polk daran gearbeitet hat und immer noch arbeitet, ihren Lebenstraum wahr werden zu lassen. Auf dem Gärtnereigelände baute sie ein Wohnhaus, ein Gewächshaus, Wirtschaftsgebäude. Und wenn’s heißt „sie baute“, dann ist das durchaus so gemeint. Viel geschah in Eigenleistung. Mit Helfern demontierte sie ein Gewächshaus in Maxlrain und stellte es in Eschlbach wieder auf, sie besorgte Baumaterialen, mauerte, deckte das Dach, bastelte Schalungen, betonierte. „Das Wohnhaus schaut zwar so aus, als stünde es schon ewig. Es ist aber quasi ein Recyclinghaus – die Türen und Fenster stammen beispielsweise aus einem Gebäude in München.“ Bei den Baustoffen achtete sie darauf, dass sie ökologische Standards erfüllen. Und nebenbei machte sie auch noch ihren Gärtnermeister.
Damit hätte Renate Polk es eigentlich gut sein lassen können. Hat sie aber nicht. „In der Spitze waren wir damals jede Woche auf vier Märkten.“ Frühmorgens wurde geerntet, der Wagen vollgepackt, der Markt angefahren, der Stand aufgebaut, nachmittags ging’s zurück in die Gärtnerei, wo sich die anstehende Arbeit in der Zwischenzeit natürlich auch nicht von selbst erledigt hatte. „So schön und so wichtig der Kundenkontakt auf den Märkten war – irgendwann hat’s mir dann gereicht, wenn ich wieder den ganzen Tag im Regen gestanden habe.“
Sich auf die Rolle der Zulieferin für den Großhandel zu beschränken war die Sache der Gärtnermeisterin nicht. Deshalb zündete sie die nächste Ausbaustufe: Ein eigener Biomarkt sollte es sein. Und wieder begab sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Objekt. Und selbstverständlich wurde sie wieder fündig: in Wasserburg war am Bahnhofsplatz ein Autohaus frei geworden. Und wieder konnte sie Helfer mobilisieren und wieder legte sie selbst Hand an, um die Halle von Altlasten zu befreien und sie zum Biomarkt umzugestalten. 2008 war es so weit: Der Wasserburger Biomarkt öffnete seine Pforten.
Aus Autohaus wird Bio-Vollsortimenter
Wer jetzt an einen verträumten Tante-Emma-Bioladen oder vielleicht an eine improvisierte, mit Gemüsekisten vollgestopfte Markthalle denkt, der denkt verkehrt. So kleinteilig agiert Renate Polk nicht. Die nüchterne Funktionalität der alten Werkstatthalle ist dem Charme eines modernen Lofts gewichen. Der Biomarkt ist eigentlich ein Biosupermarkt, ein Bio-Vollsortimenter mit 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Natürlich gibt’s hier während der Saison die Erzeugnisse der Gärtnerei Eschlbach. Dazu kommen Brotaufstriche, Milchprodukte, Getränke, Regionales, Klassisches und Exotisches, Käse, Fleisch, Wurst, Brote, Gebäck und Kuchen, Naturkosmetik, Lebensmittel für Allergiker und sogar nachhaltige Kleidung, alles aus ökologischer Produktion. Die Mode- und Kosmetikabteilung läuft unter dem Namen „Lisanne“ – nach den Mitarbeiterinnen Elisabeth Klinger und Annemarie Zollner. „Die beiden achten genau drauf, dass wir ausschließlich Mode verkaufen, die GOTS-zertifiziert ist.“ Dieses Zertifikat (global organic textile standard) bekommen nur Produkte, bei denen sichergestellt ist, dass die Fasern biologisch angebaut wurden und die Kleidung unter fairen und naturverträglichen Bedingungen produziert wurde. Ergänzt wird das Biomarkt-Angebot durch einen Mittagstisch mit täglich wechselnden, frisch zubereiteten Menüs, einen Backshop und ein Café.
Die Biobranche verzeichnet steigende Umsätze, der Bedarf an Bioprodukten hat stetig zugenommen: Wurden im Jahr 2000 in Deutschland noch Bio-Lebensmittel für 2,1 Milliarden Euro umgesetzt, waren es im vergangenen Jahr nach Angaben von Statista schon 10,04 Milliarden Euro. Das liegt nicht zuletzt an den Discountern, die auch ein Stück vom Biokuchen abhaben wollen. Um den Bedarf zu decken, produzieren inzwischen auch Großbetriebe, denen es weniger um Naturkreisläufe, Ganzheitlichkeit oder Nachhaltigkeit als um Gewinnmaximierung geht.
Umso wichtiger ist für Renate Polk die Abgrenzung zu diesen Massenproduzenten: „Wir sind darauf angewiesen, dass uns die Kunden vertrauen. Eine ganz wesentliche Aufgabe ist es für uns deshalb, den Begriff ,Bio‘ nicht verwässern zu lassen. Die Vermarktung regionaler Produkte hat dabei für uns einen sehr hohen Stellenwert: Zum einen kennen wir viele Erzeuger persönlich und somit wissen wir, dass unsere Produkte authentisch sind. Zum anderen garantiert Regionalität größtmögliche Frische, kurze Transportwege und die Förderung der Wirtschaft vor der Haustür samt Erhalt der Arbeitsplätze.“ Auch diesen Gedanken denkt Renate Polk konsequent zu Ende und bietet den Kunden Gelegenheit, entsprechend verantwortungsbewusst zu agieren: Um regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und Kaufkraft in der Region zu halten, akzeptiert der Wasserburger Biomarkt die Komplementärwährung Chiemgauer.
Biomarkt in Poing eröffnet
Verantwortung ist überhaupt eine wichtige Vokabel im Leben der Unternehmerin, die immer wieder ins Risiko gegangen ist. Als sie ihren Wasserburger Biomarkt vor zehn Jahren eröffnete, hatte sie die Gewerbefläche gepachtet und das Gebäude saniert ohne die Garantie zu haben, dass ihre Idee funktionieren würde. Sie funktionierte. Sie funktionierte so gut, dass Renate Polk erneut ins Risiko gehen konnte: Seit einem Jahr betreibt sie einen weiteren Laden – den Eschlbacher Biomarkt im City Center von Poing, ebenfalls mit 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Wo sich jetzt „Der Eschlbacher“, wie der Biomarkt kurz und prägnant genannt wird, befindet, war bis vor einem Jahr der nüchterne Verkaufsraum eines Discounters, ein Zweckbau. Heute ist er ein heller, freundlicher Feinkost-Biomarkt, den die Chefin mit viel Liebe zum Detail umgestaltet hat.
Den Wasserburger Standort, der ihr inzwischen gehört, baut sie gerade um, das Gebäude wird aufgestockt und modernisiert. Aber etwas ist anders als bislang: Diesmal legt sie nicht selbst Hand an. „Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Zum ersten Mal turne ich nicht selbst auf der Baustelle rum, alles wird von Fachfirmen erledigt, ein Architekt schaut darauf, dass alles so umgesetzt wird, wie wir uns das vorstellen.“
Eine Gärtnerei, zwei Läden samt Küche und Café – und das ist immer noch nicht alles. Unter dem Markennamen „Delizitas“ haben Renate Polk und ihr Team einen Lieferservice etabliert. Die Abonnenten bekommen einmal wöchentlich eine Biokiste ihrer Wahl geliefert. Organisiert wird das Gemüse-Abo von Renate Polks Sohn Korbinian. Die Kunden können den Inhalt der Obst- und Gemüsekiste online zusammenstellen – mit Produkten aus der Gärtnerei Eschlbach genauso wie mit Artikeln aus dem Gesamtangebot. Mehr als 6.000 Naturkostartikel stehen im Online-Shop zur Auswahl. Die Polks können auch Internet. Tochter Lisa wurde übrigens ebenfalls bereits ins Unternehmen einbezogen: Die Modedesignerin organisierte die erste Modenschau im Wasserburger Biomarkt.
„Umtriebig“ nennt man das wohl. Renate Polk hat nie ihre Idee aus dem Blick verloren, wie sie ihr Arbeitsleben gestalten will. Ihr geht’s dabei ganz wesentlich ums Augenmaß: „Natur- und Umweltschutz waren mir immer wichtig. Dabei darf man aber meiner Meinung nach den Realismus, den Sinn fürs Machbare nicht verlieren. Das Gut-und-Böse-Denken halte ich für den falschen Ansatz. Wenn wir Naturschutz betreiben, dann müssen wir das Wohl der Umwelt, der Tiere und selbstverständlich auch der Menschen gleichermaßen im Auge behalten. Naturschutz ist kein Selbstzweck. Es geht immer um die Lebensgrundlage des Menschen.“
Damit fährt Renate Polk einen Naturschutz-Ansatz, der zutiefst sozial verwurzelt ist. Verantwortung für die Umwelt und Verantwortung für die Mitmenschen sind für sie ein Gleichklang. Entsprechend hat sie ihr kleines Bio-„Imperium“ auch nicht für sich allein aufgebaut; von Anfang an nahm sie auf ihrem Weg Menschen mit. Drei Mitarbeiter beschäftigt sie in der Gärtnerei Eschlbach, insgesamt 27 sind es in den beiden Biomärkten – darunter auch eine geflüchtete junge Afghanin. „Das hat rein gar nichts mit ,Gutmenschentum‘ zu tun. Ich wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen kann, und ich hab gesagt: ,Wir probieren’s‘. Hamida passt super ins Team. Sie hat sich die Chance verdient, dann bekommt sie sie auch. Nutzen muss sie diese Chance selbst.“ Renate Polk muss es wissen. Im Nutzen von Chancen hat sie Meisterschaft bewiesen. fal
Wasserburger Biomarkt
Bahnhofsplatz 5
83512 Wasserburg
Tel. 0 80 71/9 22 56 52
www.wasserburger-biomarkt.de
www.gaertnerei-eschlbach.de
www.delizitas.de
www.eschlbacher-biomarkt.de